Glück und Schule – wirklich ein Widerspruch?
„Na, wie war´s denn heute in der Schule?“ „Wie immer: doof!“
Kennen Sie solche Dialoge? Bestimmt. Ich habe sie von meinen beiden Söhnen regelmäßig gehört. Manchmal gab es auch die kurze Antwort „Gut.“, damit Mama zufrieden war.
Neulich führte ich frühmorgens ein Gespräch mit unserem 9jährigen Nachbarssohn. Er wartete an der Bushaltestelle auf seinen Schulbus.
Ich: „Ich wünsche dir viel Spaß in der Schule!“
Er: „Danke, aber das werde ich wohl nicht haben.“
Ich: „Warum das denn nicht?“
Er: „Hab ich nie. Schule ist echt doof.“
Da war es wieder, das Wort „doof“. Ein kleines Wort, das, meiner Erfahrung nach zumindest, häufig in Verbindung mit der Institution Schule verwendet wird. Warum eigentlich? Warum antwortet kaum ein Kind, Jugendlicher „Klasse!“ oder „Hat heute echt Spaß gemacht!“?????
Ich glaube, auch wir Erwachsene haben bereits dererlei Erlebnisse hinter uns. Oder warum wird Kindern bei der Einschulung oftmals mit auf den Weg gegeben „Jetzt fängt der Ernst des Lebens an!“?
Ja, warum hört denn mit Beginn der Schule der Spaß im Leben auf?
Ich denke, dass in unserer Gesellschaft Lernen, Schule allgemein, nicht mit einem Wohlgefühl, mit Freude, Spaß oder womöglich sogar Glück in Beziehung gebracht wird – es sei denn, jemand hat eine gute Zensur, einen guten Abschluss bekommen – oder aber die Schule fällt aus irgendeinem Grund aus. Dann ja, aber sonst? Lernen hat für Viele etwas mit Disziplin, mit Arbeit, harter Arbeit, zu tun. Das führt sogar soweit, dass Lernerfolge, die einem leichtfallen, nicht als richtige Erfolge angesehen werden. Das war dann entweder „Glück“ oder derjenige „kann das eben so“. Ich habe oft erlebt, dass Schülerinnen und Schüler (wobei es, meiner Beobachtung nach, meist die Mädchen/jungen Frauen waren) sich über eine „Eins“ nicht richtig freuen konnten, war ihnen die vorherige „Arbeit“ für diese Note leichtgefallen. Hatten sie dagegen „hart dafür gearbeitet“, waren sie stolz erfüllt. Das Gleiche gilt übrigens oft auch für die Eltern dieser Schüler…
Warum darf Lernen keinen Spaß mehr machen? Warum darf Schule nicht glücklich machen?
Als ich im September den Antrag auf das Schulfach Glück bei der niedersächsischen Kultusbehörde stellte (der im Übrigen leider abgelehnt wurde), erhielt ich nicht nur positive Rückmeldungen seitens meines Kollegiums. Einige fanden es zwar ziemlich ungewöhnlich, aber gut, andere fanden es überaus merkwürdig („Glück? Als Schulfach???“) und wieder andere regten sich regelrecht auf („Die Schüler sollen doch erstmal richtig lesen und schreiben lernen! Nun sollen wir die auch noch glücklich machen????“).
Ich glaube, hier findet sich einer der Gründe, warum Schulen oftmals so „glückbefreite“ Orte sind: Die, die dort arbeiten, die Lehrerinnen und Lehrer also (im Folgenden nur noch „Lehrer“), sind meist auch nicht glücklich. Das muss man ihnen auch nicht zum Vorwurf machen. Auch sie sind Opfer der heutigen „Arbeitsverdichtung“, werden förmlich zugeschmissen mit Verwaltungsvorschriften, ständigen Erneuerungen (denkt man allein an die in rascher Folge stattfindenden „Reformen“ des Gymnasiums!), die sie davon abhalten, das zu tun, wofür sie eigentlich da sind: das Unterrichten. Das sogenannte „Qualitätsmanagement“ vieler Schulen dient oftmals nur dazu, Ordner zu füllen, Zeit und Energien zu binden – die eigentlich an anderer Stelle viel besser eingesetzt werden könnten: im Klassenzimmer.
So aber kommt bei den Beteiligten immer mehr Frust auf statt Lust! Auch Lehrer können durchaus Lust haben, anderen Menschen etwas beizubringen, zu vermitteln. Aber wo bleibt die Lust, wenn man vor Termin-und Leistungsdruck (Lehrpläne werden immer überfrachteter, Klausur- und Prüfungstermine liegen immer dichter) kaum noch Zeit hat, sich einfach mal die Menschen, die dort in der Klasse vor einem sitzen, genau anzuschauen und kennenzulernen?
Warum gilt auch in der Schule – wie in unserer Gesellschaft auch – eigentlich immer das Prinzip „Noch mehr in noch kürzerer Zeit schaffen!“? Auf der anderen Seite gibt es – ebenfalls wie in der allgemeinen Gesellschaft – auch in Schulen das Bestreben nach Nachhaltigkeit. Da werden dann Lehrerteams gebildet, die Vorschläge zur „Nachhaltigkeit in der Schule“ machen, sich nachmittags (außerhalb des Unterrichts) treffen, um Vorschläge zu erarbeiten, zu denen es meist aus Zeitmangel gar nicht kommt… Und gleichzeitig wird der Druck vonseiten der Landesschulbehörde auf die Schulen dauernd erhöht, immer mehr Inhalte in immer weniger Zeit zu pressen. Dieser Druck wird dann von Schulleitungen, Abteilungsleitungen an die „Front“ weitergeleitet – und somit auch an die „Endverbraucher“, die Schüler. Sie haben keine Zeit, das im Unterricht Behandelte im Gehirn zu verarbeiten, zack, da kommt schon das nächste Thema. Ich habe mal den Begriff „Bulimie-Lernen“ für diese Art des „Lernens“ gehört…
So ist es also kein Wunder, dass die Unzufriedenheit auf beiden Seiten des Lehrerpultes zunimmt. Bei Lehrern äußert sich dies in zunehmenden Ausfällen durch Burn Out, bei Schülern durch zunehmende Schulverweigerung – neben der traurigen, menschlichen Seite auch ein wirtschaftlicher Faktor!
Was tun?
Ich denke, zu allererst sollten wir alle, die mit Schule zu tun haben, wieder mehr in unser Bewusstsein holen, dass wir alle Menschen sind. Schule besteht doch nur aus Menschen! Lehrer sind Menschen, mit all ihren Stärken und Schwächen, genauso wie Schüler auch Menschen sind – und keine Maschinen, deren Köpfe sich aufschrauben lassen, um den notwendigen „Stoff“ hineinzupressen.
Menschen haben Gefühle, Menschen haben gute und schlechtere Tage, Menschen wollen gesehen, gelobt, geliebt werden. Menschen haben Gefühle wie Trauer, Frust, Freude, Liebe und auch Glück – Schüler wie Lehrer! Und dies alles gehört zur Schule, zum Leben dazu!
Wenn man nur allein diese Gedanken mal weiterverfolgt, wird schon Vieles, was das Leben in der Schule verbessern könnte, klarer: Wir sollten mehr Verständnis, mehr Mitgefühl für einander haben. Wir sollten uns gegenseitig positiv bestärken, loben (man glaubt gar nicht, wie viel ein Lob hier und da verbessern kann!), aber auch helfen, zur Seite stehen, wenn der Andere gerade mal eher einen „bewölkten“ Tag hat… Das gilt übrigens für beide Seiten!!!!
Außerdem wäre es hilfreich, nicht Alles so furchtbar ernst zu nehmen. Das Leben hängt nicht davon ab, eine bestimmte Zensur zu bekommen oder aber ein Thema unbedingt in einer bestimmten Zeit durchzunehmen. Nein, das Leben hängt von Dingen ab, die gar keine Dinge sind! Wer sich wie ich, die ich einmal wöchentlich ehrenamtlich in einem Hospiz arbeite, einmal mit dem Thema Sterben auseinandergesetzt hat, der weiß einfach, dass das wirklich Wichtige im Leben eines Menschen, ob Schüler oder Lehrer, Menschen sind, Beziehungen zu Menschen, Freundschaft, Liebe, Familie…Wenn wir alle unsere Schulen wieder etwas menschlicher gestalten würden, wenn die Qualität eines Menschen nicht mehr zuerst nach seinem schulischen Abschluss beurteilt würde, dann hätte vielleicht, ganz vielleicht, ja auch das Glück Lust, in diese Institutionen einzuziehen!
Zum Schluss noch eins meiner Lieblingszitate zum Thema Schule, frei nach Antoine de Saint-Exupery:
„Wenn du willst, dass deine Männer ein Schiff bauen, wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem Meer.“
…und manch einer würde sich wundern, wer und wie schnell ein Boot bauen würde (mathematische Formeln umsetzen, eine Sprache erlernen könnte), wäre die Sehnsucht (und keine „Lernzielkontrollen“ oder Prüfungen) die treibende Kraft!